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„Wir brauchen eine neue Kultur des Umbauens“ forderte Klara Geywitz in ihrer Eröffnungsrede

Schon im September diesen Jahres hatte Klara Geywitz, (Bundesministerin Wohnen Stadtentwicklung und Bauwesen) auf dem Ettersburger Gespräch der Bundesstiftung Baukultur die Position der Bundesregierung zum klimaneutralen und ressourcenschonenden Bauen vorgestellt: „Wenn wir klimaverträglicher neu bauen und besser umbauen, wird das zu einem Gewinn für die Gesellschaft, die Planenden, die Bauwirtschaft und die Baukultur. So gesehen stehen wir am Beginn der Zukunft.“ (Strategiepapier „Bauen am Beginn der Zukunft“ vom 9. September 2022)
Anknüpfend an diese zukunftsorientierte Haltung verwies die Ministerin auf drei wichtige gesellschaftliche Aufgaben und Chancen des Umbauens. Durch Umbauen könne bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten geschaffen werden. Sie verwies beispielhaft auf die Genossenschaft Gröninger Hof, die in Hamburgs Altstadt ein altes Parkhaus in Räume für Wohnen, Kultur und Bildung, Kleingewerbe, Gastronomie und Co-Working umwandelt. Klimaschutz gehe sehr gut mit dem Bestand, führte Geywitz aus und verwies auf digitale Bauprozesse und serielles Sanieren, um die Klima-Quote für das Bauwesen zu erfüllen. Umbaukultur sorge zudem für lebendige Städte und Gemeinden und verhindere Donut-Entwicklungen. Auf dem Land gelte es leerstehende Objekte durch kommunale Umwandlung zu reaktivieren. Damit Umbauprozesse besser berücksichtigt werden können, wird die HOAI gerade novelliert. Abschließend forderte Geywitz bei Entscheidungsprozessen solle der Fokus auf der Analyse der Lebenszyklusbetrachtung von Bauteilen liegen, um die Kreislaufwirtschaft und -gesellschaft zu fördern.


„Wieso müssen Umbauprojekte Neubaustandards erfüllen, wo sie doch schon 50 Jahre funktionieren?“ 
Reiner Nagel forderte einen erweiterten Erhaltungsschutz beim Umbauen 

„Umbau zum neuen Leitbild machen“ lautete die Antwort von Reiner Nagel, Vorstand der Bundesstiftung Baukultur, auf die selbst gestellte Frage, wie wir die Herausforderungen des Transformationsprozesses im Bauwesen bewältigen wollen. Vielfältig nutzbare Orte, eine belastbare Infrastruktur und attraktive, klimagerechte Lebensräume müssten vorrangige Ziele kommender Planungen sein, so Nagel in seiner Vorstellung des neuen Berichts. In unseren Städten, Orten und Landschaften müssten bestehende Qualitäten erkannt und als Ausgangspunkt und Inspiration zur Weiterentwicklung nutzbar gemacht werden, führte er aus. Dazu bedürfe es einer Neuausrichtung der Strukturen. Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf den Neubau gelte es, bestehende Strukturen und Regelwerke aufzubrechen und im Sinne einer Umbaukultur neu auszurichten. Umfangreicher Anpassungsbedarf bestehe bei den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen genauso wie bei eingeübten Abläufen in der Verwaltung und der Baubranche. Umbaukultur bedeute nicht nur suffizient, effizient und gleichzeitig schön zu bauen. Nagel zufolge ist sie auch ein Schlüssel den Flächenverbrauch durch Neubau und Versiegelung zu senken – 14,7% sind Siedlungsfläche in Deutschland. Daher müsse die Innenentwicklung intensiver genutzt werden. Dadurch könnten laut einer BBSR-Studie u.a. 2 Mio. Wohnungen realisiert werden. „Den Bestand intelligent weiterbauen“, lautete daher sein Fazit – denn "scheinbar billig ist im Nachhinein teuer". Dabei stellte Nagel die Frage in den Raum warum Umbauprojekte Neubaustandards erfüllen müssten, wo sie doch schon seit 50 Jahren funktionieren – und schloss die Forderung nach einem erweiterten Erhaltungsschutz beim Umbauen an.

„Wir liegen in Deutschland zwar an der Spitze beim Materialverbrauch im Wohnungsbau, nicht aber beim Glücksindex...!“ resümierte Florian Nagler in seinem Vortrag

Mit seinem Impuls "Ästhetik des Einfachen" plädierte Florian Nagler für mehr Suffizienz im Sinne von ,weniger ist mehr’. Anhand von eigenen Projekten, eigener theoretischer und praktischer Forschung untermauerte er seine Forderung nach weniger Gebäudetechnik. Sie erfordere oft jahrelanges Monitoring, viel Ressourcen und funktioniere oft nicht. Bei seinem Bericht von den drei Forschungshäusern in Bad Aibling wurde die gesamte Technik sichtbar installiert. Im Vergleich der drei unterschiedlich ausgeführten Gebäude (Holz, Ziegel, Dämmbeton) habe die Bewertung mit dem Urban Mining Index https://urban-mining-index.de gezeigt, dass das Haus mit den Holzwänden die Ziele des zirkulären Bauens am besten verfolge. Insgesamt sei die monolithische Bauweise bei allen drei Bauten gegenüber üblichen Konstruktionsweisen mit komplexen Bauteilschichten optimiert. Da die Materialien nicht durch fremde Werkstoffe verunreinigt werden, könne eine sortenreine Trennung der Baustoffe beim Rückbau problemlos erfolgen. 
Zusammen mit Roger Bolthauser hat Nagler Forderungen für ein zeitgemäßes Bauen aufgestellt, denn das Bauwesen verschlinge mehr als ein Drittel der globalen Ressourcen. Unserer Verantwortung für kommende Generationen könnten wir nur gerecht werden, wenn wir sparsam mit Rohstoffen, Flächen und Energie umgehen. In "nachhaltig - dicht - einfach. Ein Manifest" postulieren Bolthauser und Nagler eine Reduktion des Flächenverbrauchs bei allen Baumaßnahmen, den Gebäudebestand als Raum- und Materialressource zu nutzen, die Verwendung von kreislauffähigen, recyclebaren Baumaterialien, oder solchen, die möglichst wenig graue Energie verbrauchen sowie nur Gebäude mit geringem Energieverbrauch im Betrieb zu errichten, sowie die Entwicklung von Gebäuden, die langlebig, robust und einfach zu nutzen sind. 
 
Nagels Fazit: In Frage stellen überzogener Ansprüche, Konzentration auf das Wesentliche – auf das, was wir als Gesellschaft, aber auch als jeder Einzelne wirklich zum Leben brauchen. Denn, wie Nagler abschließend ausführte, „wir liegen in Deutschland zwar an der Spitze beim Materialverbrauch im Wohnungsbau, nicht aber beim Glücksindex...!“.


„Die Tabula Rasa-Denke der Moderne hat ausgedient“ Almut Grüntuch Ernst in Ihrem Vortrag

Gebäude seien auch Kulturträger und wir müssten daher vermeiden mit neuen Gebäuden Altes vorzutäuschen, unterstrich Grüntuch Ernst. Schon bei dem Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2006, dem Umbau des Chemnitzer Bahnhofs und des Frauengefängnisses Wilhelmina in Berlin-Charlottenburg hat sie bei ihren Projekten 3 Kriterien verfolgt: Transformation, Nachverdichtung und Renaturierung. Wie das geht, führte sie anschaulich in ihrer Präsentation zum Projekt Wilhelmina vor, das auch gestalterisch überzeugte und die vorherige Bestimmung des Bauwerks nicht verheimlicht.
„Wie geht Bauen bedarfsgerecht, klimaverträglich, schön und gut?“ 


„Wie geht Bauen bedarfsgerecht, klimaverträglich, schön und gut?“ Positionen im Panel


„Die Nutzer sind wichtig! Die Vierzimmerwohnung kann nichts dafür, wenn nur ein Mensch sie bewohnt!“ 

Arne Steffen (Werk.um Architekten) forderte politische Anreize und hob hervor, dass sich der Suffizienz-Gedanke auf die Nutzer beziehe und nicht auf die Gebäude. Vor dem Hintergrund der Forderung des Umweltbundesamtes den Wohnflächenverbrauch bis 2050 auf 41qm/ Person abzusenken, verwies er auf das Potential der vorhandenen untergenutzten Wohnungen. Einfamilienhäuser und allein wohnende Senior*innen mit durchschnittlich 80qm/ Person seien die großen „Flächenkiller“. Die Verringerung der Wohnfläche um 1 qm/ Person wäre mehr als ausreichend, um die geforderten 400.000 neuen Wohnungen zu schaffen. Obwohl die Flächeneffizienz erhöht und der Neubaudruck verringert werden müsse, biete die KfW keine Anreize für flächeneffizientes Wohnen. Steffen verwies hierbei auch auf die Chancen, die neue Wohnformen wie Cluster-Wohnen und Tauschbörsen böten. 

„Wir haben auf unseren Dächern Potential für 1000de von Wohnungen.“ 

Nach Erfahrung von Ulrich Schiller (HOWOGE Berlin) funktioniert der Wohnungstausch nicht, trotz Umzugshilfe und geringeren Kosten durch kleinere Wohnungen. Denn das Thema sei vor allem für die Familien sehr emotional, weil sie die Flächen für ihre Kinder erhalten wollten, die allerdings in der Regel nicht zurückkämen. Schiller beklagte fehlende Anreize für den Wohnungswechsel und forderte, es müsse beim Flächen sparen „übers Portemonnaie gehen“. Darüber hinaus würden falsche Anreize im kommunalen Wohnungsbau gesetzt und auch die Förderszenarien funktionierten aufgrund der Baukostensteigerung und der Inflationsgetriebenen Betriebskostensteigerungen schlecht. 
Zur Frage der fehlenden Flächen für den Wohnungsneubau berichtete er über das Howoge-Pilotprojekt einer 3-geschossigen Dachaufstockung von Plattenbauten und hob die Chancen dieser Bauweise für die Wohnraumbedarfsdeckung hervor: „Wir haben auf unseren Dächern Potential für 1000de solcher Wohnungen.“ 

„Es muss möglich sein, dass der Strom von einer Straßenseite auf die andere gebracht wird!“

Auch Elisabeth Endres (TU Braunschweig) verwies auf die Nutzerverantwortung und die CO2-Budgetierung nach Schweizer Modell, weil eine Verbotspolitik nicht zielführend sei. Die Forschung belege, je höher der Energiestandard, umso wärmer werde gewohnt und umso mehr rausgelüftet. Im Weiteren thematisierte Endres die bisherigen Förderlogiken – die Standards im geförderten Wohnungsbau gingen z.B. nicht mit Low-Tech zusammen – und stellte die Frage „Warum schaffen wir keine Anreize, um beim individuellen Projekt eigene Standards zu setzen?“ Mehr interdisziplinäres Denken und die Vereinfachung der Energieversorgung im Hausumfeld sei nötig, forderte sie. Dafür bieten Projekte wie die Berliner HOWOGE-Aufstockung Lösungen an. Der durch Photovoltaik produzierte grüne Strom entspricht der Leistung der Stadtwerke und wird auch den Nachbarn zur Verfügung gestellt, wenn zu viel Energie vorhanden ist: „Es muss möglich sein, dass der Strom von einer Straßenseite auf die andere gebracht wird!“ – das sei allerdings sehr kompliziert.

Gute Architektur macht Menschen glücklich und ist kein Widerspruch zu nachhaltigem Bauen

Auf die Frage, ob nicht auch Gestaltqualität beim nachhaltigen Bauen zähle, weil auch das Menschen glücklich mache, sagte Robert Winterhager (Montag Stiftung Urbane Räume), dass viele gute Umbauten belegen, dass architektonische Schönheit nicht abhängig sei von klimagerechten Ansätzen. 
Er betonte 100% geförderter Wohnungsbau ermögliche eine soziale Ausrichtung der Belegung, die sonst nicht finanzierbar wäre und plädierte für die Reaktivierung von Leerständen abseits von Metropolen und Schwarmstädten. Dort gäbe es 80% Leerstand im Bestand – allerdings verbunden mit einem enormen Investitionsbedarf.

„Der Paradigmenwechsel findet in unseren Köpfen statt“ 

Mit dem Statement Landschaft sei der Spiegel der Gesellschaft und das Kapital der Zukunft, hob Andreas Kipar (LAND Germany) in seinem Impuls „Umbau von Stadt und Land“ die Bedeutung der Landschaft hervor. Städte müssten als Stadtlandschaften gedacht werden, schlug er vor – schon Karl Ganser hatte bei der Umgestaltung der Ruhrmetropole 1992 gesagt: „Die Infrastruktur der Zukunft wird die Landschaft sein. …Nicht irgendwie Landschaft, sondern eine ökologisch intakte und ästhetisch befriedigende“. Der erforderliche Paradigmenwechsel finde in den Köpfen statt, konstatierte Kipar und verwies auf die einzigartige Landschaftsstrategie in Südtirol – der Landschaft als Lebensgrundlage Priorität in Entscheidungen einzuräumen sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung und Wertschätzung der Landschaft zu stärken. Immerhin sprächen sich 96% der EU-Bürger dafür aus, dass wir alle Verantwortung für die Natur tragen (EU-Barometer). Das Verhältnis Mensch und Natur stelle in den Städten keinen Gegensatz dar. Mit dem Natural Capital Accounting Ansatz, einer neuen Methode zur Bilanzierung von Ökosystemleistungen, die von den Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission im Jahr 2021 angenommen wurde. Sozusagen „vorwärts zu Natur“, könne die Stadt produktiv gemacht werden und der Gegensatz zur Natur überwunden werden. Basierend auf einer Ästhetik, die ethisch begründet ist, forderte Kipar eine Stadt der kurzen Wege, mehr Aufmerksamkeit für das Umgebaute und multicodierte Flächen mit grün-blauer Infrastruktur, die neue urbane Landschaften und Orte mit Qualitäten entstehen lassen würden. Sein Ausblick und Aufruf lautete: „Aufbruch in eine neue Zeit, in der wir wieder Teil der Natur werden, die wir zu lange als Fremdes verachtet hatten.“

„Neubau oder Umbau ist nicht nur eine technische Frage. Es ist vor allem eine Frage der Haltung.“ 

In seinem Impuls kritisierte Werner Lorenz (BTU Cottbus) das Leitbild Neubau im Bauwesen allgemein und im speziellen den Umbau von Brücken als Infrastrukturen. In seiner Problemanalyse, warum so wenige Brücken umgebaut würden (dgl. gelte aber auch für Architektur im Allgemeinen) fragte er, ob denn nur „neu“ gut sei? Neben dem Leitbild Neubau wirke vor allem für Brücken das Lebensdauer-Paradigma – „mehr als 100 Jahre sind verdächtig“. Er beklagte das „Denken in Dichotomien – richtig oder falsch und nichts dazwischen“. Im Hinblick auf Verantwortung herrsche das „Primat regelkonformer Nachweise“, die Regelwerke bezögen sich vornehmlich auf den Neubau. Im Brückenbau werde nach der Devise vorgegangen: „Bestand ist kompliziert. Fortschritt statt Fummelei. Neubauen ist einfacher.“ Lorenz resümierte, dass die Frage „Neubau oder Umbau“ vor allem eine Frage der Haltung sei – der Paradigmenwechsel stehe aus.

„Bestand ist Haltung – Bestand ist Handlung“ und „Zusammenhang von Interaktionen“

In ihrem Impuls berichtete Tabea Michaelis (Denkstatt sarl, Basel) von „Lernender Planung im Gebrauch“, die sie in der Bürofamilie mit Denkstatt sarl und dem Baubüro Insitu mit den angeschlossenen Unternehmen Zirkular und Unterdessen GmbH in Basel und Zürich praktizieren. Dabei gelte es, schrittweise lernende Produktion und ein Mitwachsen der Betriebe im Transformationsprozess in trans- und interdisziplinären Teams zu etablieren. Für den Umbau von Industriearealen versuche man ein „best match“ von Nutzung und Bestand zu finden. Kollaborative Praxis und viel Kreativität sind erforderlich, um dann auch noch aktuell verfügbare Recycling-Baustoffe in den Planungs- und Bauprozess zu integrieren, wie beim umgebauten Kopfbau der vielfach prämierten Halle K118 in Winterthur. Vor dem Hintergrund eines neuen Architekturverständnisses plädierte Michaelis dafür, sich um den Bestand zu sorgen – Bestand nicht als Objekt, sondern als Zusammenhang von Interaktionen zu verstehen: Orte, Dinge, Menschen, Nutzungen, Infra- und Finanzstrukturen, und sich aktiv handelnd in diesen Zusammenhang einzumischen. In diesem Sinne und mit Bezug auf Lucius Burckhardt forderte sie „ein Design von morgen, das unsichtbare Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und menschlichen Beziehungen, bewusst zu berücksichtigen im Stande ist“ (1980).

„Ich glaube, wir werden es (zukünftig) mit einer vollkommen anderen Ästhetik zu tun haben…“. 
Kommentar von Tim Rienietz (Leibniz Universität Hannover) mit Verweis auf das Projekt K118, dessen Aufbau auf dem Dach zu 80% aus zurückgebauten Elementen erstellt wurde.

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