Zukunftsfähige Mobilität, Verkehrsplanung, Stadt,- und Siedlungsentwicklung können nicht isoliert voneinander betrachtet und geplant werden.
Wie und wo wir wohnen, arbeiten und unsere Freizeit verbringen und wie wir uns zwischen diesen Orten bewegen, bestimmt ganz wesentlich den Charakter der Räume dazwischen. Seit Jahrzehnten wird die Qualität öffentlicher Räume durch die Dominanz des Autos geprägt. Eine am Gemeinwohl und Nachhaltigkeitszielen orientierte Politik hätte die Mittel das zu verändern.
Zielkonflikte in der Stadtentwicklung
In den letzten Jahrzehnten wurden dem ruhenden und fließenden Autoverkehr in den großen Städten immer mehr Flächen zugestanden – auf Kosten von anderen, dringend erforderlichen Nutzungen, die essenzielle menschliche Grundbedürfnisse erfüllen. Bezahlbares Wohnen, Grünflächen für Klimaanpassung und soziales Miteinander, Sport und Erholung stehen dabei oft in Konkurrenz um die Bodennutzung auf den wenigen bezahlbaren innerstädtischen Flächen.
Boden
ist ein nicht vermehrbares Gut, das deshalb vorrangig zum Wohle der Allgemeinheit genutzt werden sollte. Eine immer stärker marktorientierte Stadtentwicklung und die Spekulation mit städtischem Boden verschärfen die Flächenkonkurrenzen und sorgen dafür, dass vor allem gemeinwohlorientierte Nutzungen keine Räume mehr finden und verwertungsfreie öffentliche Räume unter Druck geraten. Dabei haben gerade diese, immer knapper werdenden Räume wichtige gesellschaftliche Funktionen. Sie ermöglichen sozialen Austausch und Begegnungen über Milieugrenzen hinweg und sind von großem Nutzen für Maßnahmen zur Klimaanpassung. Öffentliche Räume sind für alle zugängliche, demokratische Möglichkeitsräume – sie werden aber durch die Privilegierung des Autos in der Stadtplanung massiv eingeschränkt.
Autoraum versus Lebensraum
In Deutschland gibt es einen durch hohe Subventionen politisch geförderten „immer entfernungsintensiveren Lebensstil“ (Difu 2023) und bis 2023 zunehmende Autozulassungen. Immer bessere Straßen und Auto-Infrastrukturen (ver-)führen zum Zurücklegen immer größerer Entfernungen. Der Traum vom Eigenheim im Grünen kann so mit dem Arbeitsplatz an einem räumlich immer weiter entfernten Ort realisiert werden. Weil der Umweltverbund vor allem vom Land in die Stadt seit Jahrzehnten vernachlässigt wird, belastet zunehmender PKW-Pendlerverkehr den innerstädtischen Verkehr. Übergeordnete Stadtstraßen haben jegliche Aufenthaltsqualität verloren. Sie sind zu reinen Transitstrecken – zu exklusiven ,Autoräumen‘ geworden, die das Leben aus ihnen verdrängen. Menschen ohne Auto meiden diese Räume und wer kann, zieht um in gesundheitsverträglichere Quartiere. Aber auch kleinere Straßen in innerstädtischen Wohnquartieren sind durch Google Maps inzwischen als Ausweichroute vom Durchgangsverkehr betroffen.
Öffentliche Räume sollten in erster Linie dem Gemeinwohl dienen
Nicht nur der fließende, auch der ruhende innerstädtische Verkehr (Parken) ist sehr flächenintensiv. Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings haben in zahlreichen Quartieren der Bezirke Charlottenburg, Schöneberg, Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln ein privates Auto mehr Quadratmeter Parkfläche als ein Einwohner Grünfläche zur Verfügung. Dabei besteht ein eklatantes Missverhältnis zwischen den (im internationalen Vergleich) äußerst geringen Parkgebühren und dem gesellschaftlichen Wert dieser Flächen im Stadtraum. Daher ist die Veränderung des Systems für Parkgebühren und der kostenlosen Bereitstellung von Parkplätzen in Innenstädten ein Schlüssel für die Transformation urbaner Verkehrssysteme und der innerstädtischen Flächennutzung im Sinne des Gemeinwohls für die Allgemeinheit.
Das Deutsche Institut für Urbanistik betrachtet die „Regulative Wirkung von Parkgebühren“ als Instrument, um die Dominanz des Autos zurückzudrängen, andere Nutzungen im Stadtraum zu erleichtern und andere Mobilitätsformen attraktiv zu machen. Darüber hinaus benachteiligt die politische Privilegierung der Automobilität gesellschaftliche Gruppen, die sich kein Auto leisten können. Der öffentliche Verkehr muss aber als Teil staatlicher Daseinsvorsorge Mobilität für alle garantieren, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die urbane Mobilitätswende ist eine zwingende Voraussetzung für zukunftsfähige, klimagerechte und lebenswerte Städte und kann nur durch hohe Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und einen Leitbildwandel gelingen.
Erfahrungen in den Niederlanden und Holland zeigen, dass sichere und attraktive Rad- und Fußverkehrsinfrastrukturen die Menschen dazu ermutigen, ihre Mobilitätsgewohnheiten zu verändern. Dadurch werden Quartiere verkehrlich entlastet und im Hinblick auf Lebensqualität und Gesundheit aufgewertet. Die dafür bereit gestellten finanziellen Mittel übersteigen die in Deutschland zur Verfügung stehenden Ressourcen allerdings um ein Mehrfaches.
Eine auf Nachhaltigkeit beruhende Verkehrs-, Stadt- und Siedlungsplanung
basiert auf Verkehrsvermeidung und der Förderung des öffentlichen Verkehrs
Verkehrsplanung muss daher integriert mit Raum- Siedlungs- und Freiraumplanung und der sozialen Gestaltung von Stadtquartieren konzipiert werden.
Grundsätzlich gilt für alle Baumaßnahmen – unabhängig davon, ob es sich um Siedlungs- oder Verkehrsflächen handelt – Boden sparen ist oberstes Gebot. Im Sinne des Klimaschutzes und der Klimaanpassung sollte auf Neuversiegelungen von Böden durch Baumaßnahmen bzw. Neubau verzichtet werden. Denn nur unversiegelte Böden können Wasser speichern und die Luft bei Hitze durch Verdunstung kühlen, und tragen als Grünflächen mit Bäumen zur Abkühlung der Stadt um 5 bis 10 Grad bei.
Deshalb sollten nur bereits versiegelte Böden überbaut werden. Wo immer möglich, müssen Parkplätze und andere Flächen entsiegelt werden, um innerstädtisch Lebensraum für Menschen und als Maßnahme zur Klimaanpassung zu schaffen. Durch Aufstockung von eingeschossigen Bauten, Supermärkten, Dachgeschoßausbau und die Überbauung von Parkplätzen können enorme Bauflächen zum Wohnen und andere gemeinwohlorientierte Nutzungen gewonnen werden. Dafür können auf Bodenniveau Freiflächen für lebenswerte, gesundheitsfördernde und klimagerechte Quartiere gewonnen werden. Darüber hinaus gibt es ein unausgeschöpftes Flächenpotenzial durch Umbau und Umnutzung sowie den sogenannten unsichtbaren Wohnraum, den Daniel Fuhrhop in seiner Dissertation benannt hat. Zusammen genommen ergeben sich Flächen, die jeglichen Neubau im klassischen Sinn überflüssig machen – ein Thema für einen eigenständigen Beitrag.
Neben dem Rückbau von Flächen für den motorisierten Individualverkehr im Zuge der Verkehrswende bergen Digitalisierung (durch Homeoffice und online-Handel) und religiöser Wandel unter dem Wahrnehmungsradar schlummernde enorme Potenziale für die sozial-ökologische urbane Transformation. Die Erschließung innerstädtischer Flächen und der Umnutzung obsoleter kirchlicher Einrichtungen und Friedhöfe, aus der Nutzung gefallene Kaufhäuser, Bankfilialen, Gewerbe- und Bürogebäude, Tankstellen und Autohäuser bieten vielfältige Möglichkeiten (vgl. hierzu Studie der Uni Kassel).